Auf Eis gelegt
Meinen Gästen auf den Nordpol-Expeditionen pflege ich zu erklären, dass die Arktis einem verändert fürs Leben. Als hätte ich auf den zahlreichen Reisen im Eis nicht schon genug Gelegenheit gehabt, dies selber zu lernen, musste ich auf meiner Testexpedition im April 2015 feststellen, dass die Arktis auch für mich stets neue Einsichten bereit hält. Diese Grenzen habe ich immer gesucht, ich wollte sie weiter verschieben. Transarctic Solo 2016 wäre ein Projekt in einer völlig neuen Dimension gewesen. Noch nie ist es jemandem gelungen, den arktischen Ozean alleine und ohne Unterstützung von aussen zu überqueren. 2000 Kilometer auf Skiern, alleine durch die Eiswüste, von der russischen bis zur kanadischen Küste auf höchst unberechenbarem Untergrund. Ich habe mich akribisch vorbereitet, war guten Mutes und wild entschlossen, das scheinbar Unmögliche zu versuchen. Auf einer Testexpedition im April 2015 wollte ich vom Nordpol alleine weiter, um den zweiten Teil des grossen Projektes zu rekognoszieren. Nach wenigen Tagen war mir klar: Ich will es nicht. Ich will die Grenze nicht überschreiten, die ich überschreiten müsste, um ein Vorhaben wie Transarctic Solo 2016 zu vollenden. Trotz aller Vorarbeit, trotz aller Konzentration im Vorfeld – die Antwort fand ich erst draussen, alleine auf dem arktischen Ozean: Ich lege Transarctic Solo 2016 auf Eis.
Mein Weg
Startposition Kap Arktichesky. Der Startpunkt meiner Expedition ist das russische Kap Arktichesky, das arktische Kap. Aber um dorthin zu gelangen, ist bereits eine eigene kleine Expedition und sehr viel Organisation nötig. 100 Tage allein unterwegs. Nach dem Start vom russischen Kap Arktichesky werde ich in ungefähr 60 Tagen den Nordpol erreichen. Von dort werde ich weitere 30 bis 40 Tage brauchen, um an das kanadische Festland zu kommen. Mit Temperaturen bis zu -45° ist zu rechnen. Wenn ich dem kanadischen Festland näher komme, werden die Verhältnisse immer schwieriger.
Am Ziel: Ellesmere Island. 90 bis 100 Tage, nach dem Start werde ich auf Ward Hunt Island ankommen, einer vorgelagerten Insel vor Ellesmere Island, wo schon mein Team auf mich wartet. Von hier startete vor mehr als hundert Jahren Robert Peary zu seiner Expedition. So wie er der erste Mensch war, der den Pol erreichte, werde ich der erste Mensch sein, der den Ozean komplett alleine durchschritten hat.
Die Herausforderung
Solo. Das bedeutet, ich bin allein. Immer. Ich kann nie jemanden fragen. Ich kann mit niemandem reden. Lachen. Streiten. Schweigen. Arbeit teilen. Ich entscheide. Ich motiviere. Ich verantworte. Ich. Immer. Ich.
Isoliert. Der nächste Mensch ist tausende Kilometer entfernt.
Königsklasse. Bei Solo-Expeditionen ist der psychische Druck am höchsten. Ich habe ein Satellitentelefon. Das allerdings benutze ich nur alle paar Tage, abends im Zelt. Um meine Position durchzugeben.
Ich gehe über Eis. Der Arktische Ozean bewegt sich. Und wie er das tut, ist immer wieder eine Überraschung. Es gibt zwar generelle Muster, das Eis wandert mit der transpolaren Drift von Sibirien nach Kanada. Dies allerdings nicht stetig. Mit dem Wind, mit Hoch- und Tiefdruck verändert sich auch die Drift. Das kann dazu führen, dass ich tagelang wie auf einer rückwärts fahrenden Rolltreppe unterwegs bin. Dass ich morgens wieder dort aufwache, wo ich am Vortag losmarschiert bin.
Meine Vorbereitung
Keine Kompromisse. Ich muss starten können, wann ich es für richtig halte; dann, wenn die Natur mir die besten Bedingungen bietet. Diese Unabhängigkeit hat ihren Preis.
Satellitenbilder-Auswertung. Seit Jahren verfolge ich besonders um den Startzeitraum herum den Zustand des Eises vor der sibirischen Küste, um die Situation dort langfristig besser zu kennen.
Optimierte Schlitten. Die wichtigste Neuerung: Ich werde nicht mit einem, sondern mit zwei Schlitten unterwegs sein. 180 Kilogramm Gepäck sind auf zwei Schlitten verteilt leichter zu handhaben als in einem.
Mentale Stärke. Für Transarctic Solo 2016 arbeite ich mit einem Mentalcoach zusammen, der mich schon jetzt, aber auch während der Expedition unterstützt.
Warten im Team. Sollte ich erneut an der Küste auf den Start warten müssen, werde ich die Zeit zusammen mit meinem Team in der Wetterstation Golomyannyi verbringen.
Meine Botschaften
Die Vision. Wer eine wirkliche Innovation schaffen will, muss ausserhalb bestehender Denkmuster denken. Jeder kann in dem, was er tut, eine neue Dimension eröffnen, einen Schritt weiter gehen – so wie ich es jetzt mit TransarcticSolo mache. Am Anfang stand ein Gedanke. Und der Entschluss, es zu versuchen.
Die Grenzen. Grenzen sind für mich keine Endpunkte. Sie sind Herausforderungen, die es zu überwinden gilt. Die Welt braucht Menschen, die immer wieder Grenzen überschreiten, neue Horizonte öffnen. Nur so kommen wir weiter.
Der erste Mensch. Bei TransarcticSolo geht es um eine Leistung, die bisher niemand geschafft hat. Der erste Mensch, der ganz auf sich gestellt den letzten unüberquerten Ozean «durchmisst»: Das ist die Geschichte.
Den Traum leben. Wer seinen Traum leben will, muss hellwach sein. Er muss seine ganze Energie in dieses Vorhaben stecken, muss ebenso innovativ wie mutig, fokussiert und durchsetzungsstark sein. Wer seinen Traum leben will muss ganz und gar Realist sein. TransarcticSolo ist die Realisation eines Traums mit der Klarsicht eines Unternehmers.
Risikomanagement. Eine Expedition zum Nordpol ist keine wilde Sache, keine fixe Idee. Sie ist vor allem mühevolle Detailarbeit. Um das Risiko zu minimieren, überlasse ich nichts dem Zufall, meine Ausrüstung ist hundertfach überdacht, getestet, optimiert, individuell weiterentwickelt.
Motivation. Ich fiebere der Zeit im Eis entgegen. Meine Vorbereitung ist so gut, dass nicht 100 Tage Qual auf mich warten. Das Bewusstsein, etwas Neues zu schaffen, lässt mich immer weiter gehen. Wenn ich im Eis stehe und um mich blicke, wenn sich die arktische Landschaft aus dem Dunst schält, wenn ich sehe, wie bizarre Eisfinger in den Himmel ragen – dann bin ich dankbar für dieses Leben. Und gewinne Kraft aus dieser Schönheit der Natur.
Weiter gehen. Viel zu oft geben die Menschen heute auf, wenn es schwierig wird. Früher hatten die Abenteurer und Forscher diese Möglichkeit nicht – aufgeben hat den Tod bedeutet. Mich auf eine Expedition zu begeben, heisst für mich, dass ich mit den Bedingungen zurecht kommen muss, die ich vorfinde. Meine Strategie muss ein festes Ziel haben, doch sehr flexibel in der Zielerreichung sein.
Nicht nachlassen. Nirgends sind Wahnsinn und Wirklichkeit beständig so nah beieinander wie in der arktischen Eiswüste. Momente der Entspannung gibt es nicht, darf es nicht geben. Ich darf nie den Umstand vergessen, dass ich 4500 Meter kaltes Wasser unter den Füssen habe. Mentale Stärke ist wichtig, um hier den Fokus nicht zu verlieren, nicht unterzugehen.
Allein und doch im Team. Meine Expedition ist eine Solo-Expedition, ich werde allein unterwegs sein. Ohne Partner, ohne ein Team aber ist ein solches Projekt unmöglich. Ich habe eine ganze Reihe Menschen motiviert, diesen Traum mit mir zu verwirklichen. In diesem Team ordnen sich alle diesem einen Ziel unter.
Worst case Szenario. Scheitern ist möglich. Ich will es nicht. Dennoch muss es einen Plan geben, was im schlimmsten aller möglichen Szenarien zu tun ist, einen Notfall- und Rettungsplan, für mich, für mein Team zuhause, für Rettungskräfte, für meine Familie. Verantwortung bedeutet, sich auch mit Szenarien zu beschäftigen, von denen man nicht will, dass sie real werden. Je schonungsloser und intensiver man dies macht, umso wirkungsvoller verhindert man das Eintreten des worst case. Wir sind auf alles vorbereitet.
Saubere Sache. Was mich vorwärts bringt, ist Muskel-, Wind- und Willenskraft. Ich will verantwortungsvoll mit den Ressourcen der Welt umgehen, technischen Aufwand immer wieder überdenken, Flugkilometer des Teams gering halten. Ich bin überzeugt, Expeditionen wie diese nützen der Region, weil ich berichten werde, Emotionen in ihr ansiedeln, den Menschen zeige, wie schön und schützenswert unser Planet ist. Ich werde Daten für das Norwegische Polarinstitut sammeln und mitbringen. Die Expedition hinterlässt keine Spuren: Ich verändere die Natur nicht, sondern sie verändert mich.